Via Alpina: dem Alltag entfliehen

Die Via Alpina. Der momentan weiteste zusammenhängende Wanderweg Europas. Eine Alpenüberquerung, die mehrere Monate beansprucht. 2500 Kilometer, chaotisch und faszinierend zugleich, wo die Natur Grenzen aufzeigt, der Horizont endlos, der Weltrummel nur noch Erinnerung ist. Gehen Sie mit mir durch diese offene Tür ins Abenteuer.

Von Vincent Tornay (Text) und Jean-Louis Giraud (Bilder)

aus dem Französischen übersetzt von René Chatelain. Erschienen in der Nummer 49 Gästemagazin GRAUBÜNDEN EXCLUSIV mit freundlicher Genehmigung

Welcher Wanderer oder Alpinist hat noch nie davon geträumt, eines Tages die Alpen zu durchqueren? Das grösste europäische Bergmassiv, Wiege des Tourismus und Alpinismus, von Land zu Land und Schritt für Schritt zu erobern. Ich habe 119 Tage benötigt, um über die Via Alpina, den «Alpenweg», von Triest bis nach Monaco zu gelangen. Der Weg wurde unter der Federführung der GTA (Grande Traversée des Alpes) und der Schweizer Wanderwege sowie weiterer nationaler Verbände im Rahmen des Interreg IIIB Programme Alpine Space der EU konzipiert. Das Abenteuer beginnt an der Adria, endet am Mittelmeer und offenbart die riesige Dimension und den Reichtum eines Massivs, dessen Vielfalt in Vergessenheit gerät. Auf dem Weg durch Slowenien, Österreich, Italien, Deutschland, Liechtenstein, die Schweiz, Frankreich und Monaco erlebt der Wanderer hautnah das zerklüftete Gebirge des grössten Naturparks Europas. Als länderübergreifende Route kennt die Via Alpina weder Zollvorschriften noch kulturelle oder sprachliche Barrieren. Sie erklimmt die prestigeträchtigsten Berggipfel, bringt uns zu verborgenen Kulturschätzen, während unterwegs die Geschichte der verschiedenen Völker präsent wird. Dieser mystische Weg führt den Wanderer durch irrsinnige Landschaften und verwandelt ihn in einen «Säumer» der heutigen Zeit.

 

Den Grenzen trotzend

Die Etappen der Via Alpina durchqueren die hoch gelegenen Landschaften des Alpenbogens. Ganz im Osten durchstreift sie den nördlichen Teil Sloweniens zum Triglav-Massiv, einem symbolträchtigen Mythos des Landes. Nachdem ich die bekannten Karnischen Alpen, den Schauplatz der Gebirgskämpfe im Ersten Weltkrieg, von Ost nach West durchquert habe, gelange ich in die Dolomiten. Hier, inmitten eines wilden Reliefs aus riesigen Plateaus und Felspfeilern, die wie Steinkathedralen in die Höhe ragen, in einem Spiel der Perspektiven, liegt eine der Wiegen der Kletterei und des Alpinismus. Hier auch wurden die ersten Klettersteige installiert. Dienten sie ursprünglich militärischen Zwecken, gelten sie heute als Touristenattraktionen. In der Folge führt die Via Alpina auf die Alpennordseite, vom Südtirol zu den Bayerischen Alpen und ins Fürstentum Liechtenstein. Einzig Steinböcke, Gämsen und einige Greifvögel teilen sich dieses Höhenreich, in dem Staatsgrenzen keine Rolle mehr spielen.

Vom Rätikon zum Schweizer Nationalpark

Ich verlasse Feldkirch und Vorarlberg, um einen regelrechten Höhenparcours zu absolvieren. In Gedanken versunken, wie schwerelos über der Erde, mache ich mich auf zu den «Drei Schwestern». Ein wagemutiger Parcours hoch über dem Zwergstaat Liechtenstein. Ich befinde mich nun am Eingang zum Rätikon, den Rhein tief unten als ständigen Begleiter. Weiterlesen...

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www.via-alpina.org
www.itinerance.ch